Körper Haut

„Hydroaktive Wundauflagen sind den konventionellen hinsichtlich der Abheilungschance chronischer Wunden überlegen.“

Interview mit Prof. Dr. Matthias Augustin und Kristina Heyer

Eine Analyse des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf von 170 Studien dokumentiert die Überlegenheit hydroaktiver Wundauflagen gegenüber konventionellen Therapien. Die Abheilungschance beim Einsatz hydroaktiver Wundauflagen ist im Schnitt 52 Prozent höher als bei konventionellen Verbandmitteln, so das Ergebnis. Prof. Dr. Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, und Kristina Heyer, wissenschaftliche Projektleiterin am Institut, zu den Ergebnissen der Metaanalyse zur Wirksamkeit hydroaktiver Wundauflagen.

Herr Prof. Augustin, Sie haben eine Metaanalyse zur Wirksamkeit hydroaktiver Wundauflagen erstellt. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Prof. Dr. Matthias Augustin: Nach den uns vorliegenden Daten sind hydroaktive Wundauflagen als Produktklasse in der Therapie chronischer Wunden den konventionellen Wundauflagen hinsichtlich der Abheilungschance überlegen. Insgesamt war die Chance auf Abheilung in den kontrollierten Studien zu hydroaktiven Wundauflagen im Mittel um 52 Prozent signifikant höher. Sogar unter Berücksichtigung nicht kontrollierter Beobachtungsstudien lag die Abheilungschance bei 33 Prozent.

Wie waren die Ergebnisse beim zusätzlichen Einsatz einer Kausaltherapie?

Prof. Dr. Matthias Augustin: Die Überlegenheit hydroaktiver Wundauflagen zeigt sich unabhängig von einer zusätzlichen Kausaltherapie. Allerdings stellten wir in der Metaanalyse fest, dass eine Kausaltherapie den Effekt der Wundauflagen noch erhöht.

Frau Heyer, das bisherige Studienmaterial zu hydroaktiven Wundauflagen ist heterogen. Wie haben Sie den Vergleich möglich gemacht?

Kristina Heyer: Im Gegensatz zu den bisherigen Übersichtsarbeiten zur Effektivität hydroaktiver Wundbehandlung wurde in dieser Metaanalyse mit einem erweiterten Auswertungsansatz und einer viel größeren Breite an Studien gearbeitet. So konnte am Ende eine weitaus größere Anzahl an versorgungsnahen Studien und eine deutlich höhere Fallzahl an Patienten ausgewertet werden. Zudem haben wir keine Studien nur aufgrund der Wunddiagnose ausgeschlossen, sondern – im Gegenteil – verschiedene Arten chronischer Wunden zugelassen. Wir haben hydroaktive Wundauflagen als Einheit betrachtet und die Analyse nicht auf einzelne Produktklassen beschränkt.

Welche Datenquellen wurden berücksichtigt?

Kristina Heyer: Gemäß den Kriterien der Cochrane Collaboration fand eine äußerst umfangreiche systematische Literaturrecherche statt. Neben Medline haben wir weitere international zugängliche Datenbanken, Leitlinien, Webseiten von Fachgesellschaften und Organisationen sowie sekundär zitierte Literatur aus den bisher publizierten Übersichtsarbeiten analysiert.

Welche metaanalytischen Methoden haben Sie angewandt?

Prof. Dr. Matthias Augustin: Die Metaanalyse unserer Spezialisten beruhte auf den international konsentierten und wissenschaftlich anerkannten Standards der Analyse publizierter Studien. Sie musste sowohl Berechnungen zur Homogenität der Studien sowie Prüfungen auf Verzerrungen und möglicher Störeffekte standhalten. Außerdem wurde geprüft, ob sich die Studienauswahl und die Studienbefunde auf die Ergebnisse auswirken, was als Sensitivitätsanalyse bezeichnet wird.

Kristina Heyer: Wir haben versucht, ein möglichst objektives Bild der Therapie mit hydroaktiven Wundverbänden zu zeichnen. Unser Ziel war es, die Fokussierung auf Sonderfälle zu vermeiden und eine größere Breite an Studien zuzulassen, was zu einer höheren externen Validität führt. Zudem wurde bei der Selektion der Studien die Qualität, als Maß der internen Validität, bewusst nicht ausgereizt, um eine höhere Gültigkeit der Publikationen zu erzielen. Durch diese offenere Herangehensweise ergab sich ein wesentlich umfangreicherer Studienpool von 170 eingeschlossenen und analysierten Studien mit mehr als 22.000 Patienten. Somit haben wir praktisch auf die gesamte publizierte Evidenz zur Wirksamkeit hydroaktiver Wundtherapien zurückgegriffen und das Resultat der klinischen Forschung schlechthin dargestellt.

Was antworten Sie den Kritikern hydroaktiver Wundauflagen?

Prof. Dr. Matthias Augustin: Ganz einfach: Wir können keine stichhaltigen Argumente gegen hydroaktive Wundauflagen erkennen.
In der Praxis haben wir schon länger beobachtet, dass mit der hydroaktiven Wundversorgung in vielen Fällen ein besserer Heilungserfolg bei chronischen Wunden erzielt werden kann. Die nun vorliegende Studie liefert endlich eindeutige Daten und macht den beobachteten Heilungserfolg objektiv nachvollziehbar.
Fakt ist: Chronische Wunden haben eine große sozio-ökonomische Relevanz und beeinträchtigen den Patienten stark in seiner Lebensqualität. Mit dem „Goldstandard“ der kompletten Heilung gemessen, lassen viele kontrollierte Studien zu hydroaktiven Wundauflagen deren Überlegenheit sowohl hinsichtlich Abheilung wie auch Patientennutzen, Lebensqualität und Kostenvorteilen erkennen.

Kostenvorteile? Die Kosten für hydroaktive Wundversorgungsprodukte sind doch höher als bei konventionellen Therapien.

Prof. Dr. Matthias Augustin: Zu den wirtschaftlichen Vorteilen, die jeder erfahrene Wundexperte kennt, gehört in der Versorgung chronischer Wunden die relevante Einsparung von Personalkosten, welche bei sachgerechter Anwendung die Mehrkosten bei Material weit übersteigt; es ist bedauerlich, dass dieser Vorteil in den Wirrungen des deutschen Vergütungssystems für Ärzte und Pflegende von manchen Kostenträgern nicht erkannt wird.
Doch nichtsdestotrotz: In der klinischen Versorgung haben die Wundexperten weltweit schon lange mit den Füßen abgestimmt und setzen genau wie wir im universitären Wundzentrum des UKE Hamburg hydroaktive Wundauflagen bei gegebener Indikation erfolgreich und differenziert ein.

Weiterführende Links
  • Weitere Artikel zum Thema
  • 8. BVMed-Wunddialog: „Nutzenstudien benötigen andere Endpunkte als den vollständigen Wundverschluss“

    Für die Erstattung der „sonstigen Produkte zur Wundbehandlung“ endet Anfang Dezember 2024 die Übergangsfrist. Um danach noch in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattungsfähig zu sein, müssen Hersteller gesonderte Nutzennachweise für die Produkte erbringen. Aber gerade bei der Behandlung chronischer Wunden sind die geforderten Nutzennachweise nicht einfach zu erbringen, so die Expert:innen des 8. BVMed-Wunddialoges. Die Teilnehmenden waren sich weitgehend einig, dass für diese Produkte als Nutzennachweis andere Endpunkte der Behandlung relevant sind als ausschließlich der vollständige Wundverschluss. Mehr

  • Produkte zur Wundversorgung: G-BA nimmt Vorankündigungen von Beratungsanträgen entgegen

    Der G-BA nimmt bereits Vorankündigungen von geplanten Beratungsanträgen zur Aufnahme von Produkten zur Wundbehandlung in Anlage V der Arzneimittel-Richtlinie entgegen (den sogenannten „sonstigen Produkte zur Wundbehandlung“). Die Beratungen selbst können erst nach Inkrafttreten des Beschlusses vom 19. Oktober 2023 beantragt werden – hier regelt der G-BA das Verfahren und die Gebührenordnung. Die Genehmigung dieses Beschlusses durch das Bundesministerium für Gesundheit steht derzeit noch aus. Mehr

  • Verbandmittel-Erstattung: „Sonstige Produkte zur Wundbehandlung“ bleiben bis Dezember 2024 uneingeschränkt erstattungsfähig

    Die „sonstigen Produkte zur Wundbehandlung“ sind wie bisher bis Dezember 2024 in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattungsfähig, klärt der BVMed auf. Durch die gesetzlich verlängerte Übergangsfrist ändert sich bis dahin nichts in der Verordnungspraxis. Damit hat der Gemeinsame Bundesausschuss in den kommenden Monaten Zeit, mit Vorgaben zum Verfahren und zu den Evidenzanforderungen ein verlässliches und in der Praxis umsetzbares System zu etablieren. Mehr


©1999 - 2024 BVMed e.V., Berlin – Portal für Medizintechnik